Von Pilzen und Wurzeln
It doesn't matter who my father was; it matters who I remember he was.
Anne Sexton
Meine Eltern hatten einen sehr liberalen Erziehungsstil. Strenge war auch nicht nötig, weil meine Geschwister ohnehin brav waren und ich nur harmlosen Schabernack machte. Zwang gab es nicht, mit wenigen Ausnahmen: Anwesenheit beim Abendessen. Und das war, saß ich erst mal am Tisch, mehr Kür als Pflicht.
Aber ein Spleen meines Vaters war anstrengend. Wenn meine Eltern sich gestritten hatten und mein Vater Abstand brauchte wurden meine Geschwister und ich zum Wandern abkommandiert. Ohne Pardon ging es stundenlang bergauf und bergab durch die Harz Mountains. Meine Schwester trottete murrend hinterher, mein Bruder fand es o.k. und ich trieb mich gern im Wald rum. Aber auch mir war lieb, dass sie sich nicht besonders häufig stritten.
Einmal im Oktober hing der Haussegen richtig schief und er fuhr mir uns Kindern an einem sonnigen Herbsttag ohne unsere Regierung los. Ziel war der Kronprinzessinnenteich, Pilze suchen. Meine motzige Schwester fiel in ihren Gummistiefeln schnell zurück und blieb auf einem Stein hocken. Und mein Vater, Chris und ich fanden mehr Pilze, als wir tragen konnten. Hallimasch, Steinpilze und Boviste. Da ließ auch Schwesterchen sich zur Suche begeistern. Als die Sonne sich verkroch und der halbe Kofferraum voll war, fuhren wir mit bester Laune wegen der großen Beute und des gemeinsamen Tages zurück. Papas Trick zog: Vulkan-Mama hatte sich abgeregt, kochte was aus den Pilzen und wir hatten einen Abend, der mir beim Zurückschauen Tränen in die treibt.
Eine Erinnerung, die gestern wieder hochkam. So viele Pilze habe ich nie wieder gesehen. Vielleicht lag es daran dass mein Vater, der Pilzhexer, ein paar Monate später starb. Nächste Woche werde ich an den gleichen See fahren, denn im Heimatstädchen tagt der Familienrat. Mama will unser Haus verkaufen, das sein Generationen in Familienbesitz ist. Sie sagt, wir Kinder wollen ohnehin nicht zurück und ihr sei es zu riesig. Ich werde dagegen stimmen. Denn das Haus ist unsere Vergangenheit. Mit dem rümpeligen Dachboden, auf dem ich seit Jahren „nur mal kurz“ dutzende Kisten gelagert habe. Auf dem man alles findet, was man sucht, wenn man nur lange genug sucht. Dem russischen Wein, der die Fassade hochkrabbelt, seitdem ich ihn gepflanzt habe. Meinem alten Zimmer, in dem ich seit meinem Auszug nie wieder geschlafen habe, aber auf dessen Tür noch Kritzeleien von Freunden sind und alte Fotos hängen. Dem Tisch, an dem wir uns allabendlich einfanden, wenn Papa aus der Praxis kam. Und dem Sofa, auf dem ich seine Hand hielt als er ging, bevor der nächste Herbst kam und wir wieder hätten Pilze suchen können. Veto
Anne Sexton
Meine Eltern hatten einen sehr liberalen Erziehungsstil. Strenge war auch nicht nötig, weil meine Geschwister ohnehin brav waren und ich nur harmlosen Schabernack machte. Zwang gab es nicht, mit wenigen Ausnahmen: Anwesenheit beim Abendessen. Und das war, saß ich erst mal am Tisch, mehr Kür als Pflicht.
Aber ein Spleen meines Vaters war anstrengend. Wenn meine Eltern sich gestritten hatten und mein Vater Abstand brauchte wurden meine Geschwister und ich zum Wandern abkommandiert. Ohne Pardon ging es stundenlang bergauf und bergab durch die Harz Mountains. Meine Schwester trottete murrend hinterher, mein Bruder fand es o.k. und ich trieb mich gern im Wald rum. Aber auch mir war lieb, dass sie sich nicht besonders häufig stritten.
Einmal im Oktober hing der Haussegen richtig schief und er fuhr mir uns Kindern an einem sonnigen Herbsttag ohne unsere Regierung los. Ziel war der Kronprinzessinnenteich, Pilze suchen. Meine motzige Schwester fiel in ihren Gummistiefeln schnell zurück und blieb auf einem Stein hocken. Und mein Vater, Chris und ich fanden mehr Pilze, als wir tragen konnten. Hallimasch, Steinpilze und Boviste. Da ließ auch Schwesterchen sich zur Suche begeistern. Als die Sonne sich verkroch und der halbe Kofferraum voll war, fuhren wir mit bester Laune wegen der großen Beute und des gemeinsamen Tages zurück. Papas Trick zog: Vulkan-Mama hatte sich abgeregt, kochte was aus den Pilzen und wir hatten einen Abend, der mir beim Zurückschauen Tränen in die treibt.
Eine Erinnerung, die gestern wieder hochkam. So viele Pilze habe ich nie wieder gesehen. Vielleicht lag es daran dass mein Vater, der Pilzhexer, ein paar Monate später starb. Nächste Woche werde ich an den gleichen See fahren, denn im Heimatstädchen tagt der Familienrat. Mama will unser Haus verkaufen, das sein Generationen in Familienbesitz ist. Sie sagt, wir Kinder wollen ohnehin nicht zurück und ihr sei es zu riesig. Ich werde dagegen stimmen. Denn das Haus ist unsere Vergangenheit. Mit dem rümpeligen Dachboden, auf dem ich seit Jahren „nur mal kurz“ dutzende Kisten gelagert habe. Auf dem man alles findet, was man sucht, wenn man nur lange genug sucht. Dem russischen Wein, der die Fassade hochkrabbelt, seitdem ich ihn gepflanzt habe. Meinem alten Zimmer, in dem ich seit meinem Auszug nie wieder geschlafen habe, aber auf dessen Tür noch Kritzeleien von Freunden sind und alte Fotos hängen. Dem Tisch, an dem wir uns allabendlich einfanden, wenn Papa aus der Praxis kam. Und dem Sofa, auf dem ich seine Hand hielt als er ging, bevor der nächste Herbst kam und wir wieder hätten Pilze suchen können. Veto
brittbee - 15. Jul, 13:42
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